Anthropic Interviewer: Warum 69 % ihre KI-Nutzung vor Kollegen verheimlichen
Anthropic stellt ein Tool für autonome Interviews vor. Die Daten von 1.250 Profis verraten, wie sich Jobs wirklich verändern.

Anthropic automatisiert mit einem neuen Tool die qualitative Marktforschung und liefert damit tiefe Einblicke in die tatsächliche KI-Nutzung am Arbeitsplatz. Die Ergebnisse der ersten Studie mit 1.250 Teilnehmern zeigen ein gespaltenes Bild zwischen Produktivitätsgewinn und der Angst vor Stigmatisierung durch Kollegen.
Automatisierte Interviews statt Chat-Logs
KI-Entwickler standen bisher vor einem Problem: Sie sehen zwar die Chat-Logs der Nutzer, verstehen aber oft den Kontext oder die emotionale Haltung dahinter nicht. Anthropic ändert dies mit der Einführung des „Anthropic Interviewer“. Dieses System nutzt das Sprachmodell Claude, um dynamische, 10- bis 15-minütige Interviews mit Menschen zu führen. Es plant den Gesprächsleitfaden, stellt adaptive Nachfragen und wertet die Ergebnisse anschließend selbstständig aus.
In einem ersten großen Testlauf befragte das Unternehmen 1.250 Fachkräfte aus verschiedenen Branchen. Ziel war es, über die reine Datenauswertung hinaus zu verstehen, wie KI den Arbeitsalltag wirklich verändert und welche Ängste dabei eine Rolle spielen.
Quelle: Anthropic
Angst vor dem Stigma am Arbeitsplatz
Die Ergebnisse der allgemeinen Belegschaft (N=1.000) offenbaren ein interessantes Phänomen: Die "Schatten-IT" kehrt als "Schatten-KI" zurück. Während 86 Prozent der Befragten angaben, dass KI ihnen Zeit spart, berichteten 69 Prozent von einer wahrgenommenen sozialen Stigmatisierung. Viele Arbeitnehmer verheimlichen ihre KI-Nutzung vor Kollegen, aus Sorge, als faul oder inkompetent abgestempelt zu werden.
Ein Faktenchecker gab im Interview an, er schweige über seine Prozesse, da Kollegen KI offen ablehnten. Gleichzeitig planen fast die Hälfte der Befragten (48 Prozent), ihre Karriere künftig eher auf die Überwachung von KI-Systemen auszurichten, statt die technische Arbeit selbst zu erledigen. Es herrscht eine Mischung aus Zufriedenheit über die Entlastung und konkreter Angst (bei 55 Prozent), in Zukunft ersetzt zu werden.
Quelle: Anthropic - welche Bereiche sehen der KI-Zukunft optimistisch entgegen?
Wissenschaftler skeptisch, Kreative unter Druck
Die Studie untersuchte zusätzlich spezifische Berufsgruppen. Bei den 125 befragten Wissenschaftlern zeigte sich eine klare Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Zwar wünschen sich 91 Prozent Unterstützung bei der Hypothesenbildung, in der Praxis scheitert dies jedoch oft am fehlenden Vertrauen.
Chemiker und Physiker nutzen KI derzeit primär für periphere Aufgaben wie das Schreiben von Manuskripten oder das Bereinigen von Code. Für die Kernforschung ist die Sorge vor „Halluzinationen“ – also faktisch falschen Ausgaben der KI – und Sicherheitsbedenken bei sensiblen Daten noch zu groß.
Kreativschaffende hingegen stehen unter einem enormen wirtschaftlichen Druck. Die Interviews verdeutlichen, dass KI in Bereichen wie Grafikdesign oder Textproduktion die Produktivität massiv steigert, aber gleichzeitig existenzielle Sorgen schürt. Synchronsprecher berichteten vom Zusammenbruch ganzer Marktsegmente durch synthetische Stimmen. Viele Kreative befinden sich in einem Dilemma: Sie müssen die Technologie nutzen, um wettbewerbsfähig zu bleiben, fürchten aber gleichzeitig, dadurch ihre eigene berufliche Identität abzuschaffen.
Das Tool steht ab sofort für Forschungszwecke zur Verfügung und wird auch direkt in Claude für eine öffentliche Pilotstudie eingesetzt, um das Feedback der Nutzer in die Weiterentwicklung der Modelle einfließen zu lassen.

